Torben Schultz

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Wir brauchen keine neue Marketing Partei

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Spätestens seit der Abgeordnetenhaus Wahl in Berlin sind Witze wie der mit der Oma („Aber was ihr vor Somalia macht ist nicht ok“) endgültig abgedroschen – die Piraten sind im Mainstream angekommen. Und diese Ankunft liegt erstmal nicht an den Piraten selber, es sind die Medien, die zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auch einen Piraten mit an Board nehmen. Das ist eben „In“.

Und diese mediale Aufmerksamkeit sei den Piraten auch gegönnt, viel zu lange wurden sie ignoriert – wie eigentlich jede kleine Partei[1]. Was dann auch schon ein Problem unserer Demokratie aufzeigt: Biste drinne, wirste gehört ... egal ob es überhaupt was hörenswertes zu berichten gibt. Biste nicht drinne, wird auch keiner über dich berichten ... egal ob da vielleicht mal was neues kommt[2].

Das ist eben das Problem mit unser Mediendemokratie: Bei aller niedergeschriebenen Wahl- und Meinungsfreiheit, bestimmen eben doch ein paar Auserlesene was geschrieben wird. Und nur wenige haben die Zeit (und ggf. das Geld) die sogenannte Gegenöffentlichkeit zu lesen und damit haben eben auch nur wenige eine wirklich grenzenlose Wahlfreiheit.

Und weil die Piraten es eben 5 Jahre nach ihrer Gründung im September 2006[3] in ein Landesparlament schafften, gehören sie derzeit zu den gefragten. Und davon profitieren ja nicht nur die Piraten selber. Gerade die alt hergebrachten Parteien sind jetzt gefordert, Demokratie mal neu zu erlernen: Transparenz statt Hinterzimmer-Absprachen, Kommunikation nicht als Einbahnstraße, Freiheit nicht als zu überwachende Worthülse, ...

Ja und deswegen würde ich es mal ganz Plakativ sagen: Piraten sind gut für uns!

Und jetzt kommt auch nicht das allseits erwartete ABER, nö, es kommt nur die einfache Frage:
Und wo ward ihr bis zum 18.09.2011?

Ja ich kenne die Antwort: Im Internet!

Und als halbwegs interessierter Bürger, weiß ich auch, dass ihr auf kommunaler Ebene über 100 Mandate bundesweit habt. Darunter z.B. in Aachen und in Münster, und da macht ihr auch mal mehr und mal weniger gute Arbeit. Aber ihr macht Politik[4]!

Nun möchte ich aber einfach mal nicht über den Tellerrand schauen und frage mich, was war den konkret hier vor Ort los? Nun lebe ich in Mönchengladbach, aber der Name der Stadt und die folgenden Beispiele sind austauschbar – und es werden sich immer auch Gegenbeispiele finden – doch die Kernaussage erscheint mir bundesweit stimmig. Aber mal Step by Step:

Noch kurz vor der Bundestagswahl war auf der Mailingliste der damals sehr aktiven Mönchengladbacher Nierspiraten zu lesen, dass sie auch nach der Wahl mit Infoständen präsent sein werden. Auch wurde bedauert, dass die Piraten es nicht geschafft hatten, auch an der Kommunalwahl NRW, einen Monat vor der Bundestagswahl, teil zu nehmen. Ja Bürgernähe war wichtig, die Power schien da zu sein und so endete ja auch die Bundestagswahl mit einem beachtenswerten Ergebnis – wenn auch ohne Balken ;-)

Und wie ging es weiter?

Kurz nach der Kommunalwahl 2009 kamen die Pläne des lokalen Energieversorgers, der NVV, an die Öffentlichkeit, dass im Stadtteil Wanlo eine Biogasanlage gebaut werden soll. Nun klingt Bio ja erstmal gut und ich will hier auch nicht über das Thema an sich streiten. Wir sollten nur mal als Fakt hin nehmen, dass DIE LINKE sich als erste Partei auf einer öffentlichen Sitzung damit auseinandersetze und auch als erste Fraktion ein klares NEIN aussprach (PDF). Am Ende scheiterte der ganze Plan der NVV im Februar 2011 daran, dass die „regierende“ Ampel uneins war und die CDU sich dem NEIN der Linken anschloss.

Nun lag aber über ein Jahr zwischen bekannt werden und der Entscheidung im Rat. Für die BürgerInnen von Wanlo war das ein Jahr mit Fehlinformationen, mit Hinhalte Auskünften, mit Unsicherheit, mit Intransparenz, ... eben mit politischem Geplänkel der Machthabenden.

Mir ist von keinem Piraten oder keiner Piratin bekannt, dass sie sich mal in Wanlo haben sehen lassen. Mir ist keine Veröffentlichung zu dem Thema von den Piraten bekannt[5].

Das hätte aber ein Thema der Piraten sein müssen!

btw. Ist die Biogasanlage dann letztlich ja nur Faktisch an den Stimmen der CDU gescheitert und wir Linke können das auch nicht auf unser Konto verbuchen. Gewonnen haben alleine die Wanloer BürgerInnen – Politik wird eben nicht in den Parlamenten entschieden, sondern auf der Straße. Die Parlamente sind nur Sprachrohr!

Ich bin froh, dass ich als Teil der Linken auch Teil dieses Sprachrohrs sein durfte. Ich bin traurig, dass die Piraten hier vor Ort, sich bei diesem Thema den BürgerInnen nicht gestellt haben.

Übrigens sollten, bzw. werden gerade noch, die WanloerInnen jetzt von der RWE für dumm verkauft. Es geht um den Schutz zum Tagebau Gartzweiler II und die Frage heißt: Wand oder Wall. Gefüttert wird das Volk wieder mal mit Halbwahrheiten – der Rat hat eh nichts zu sagen, weil es über Bergbaurecht auf Landesebene beschlossen wird. Aber gehört wird der Rat und da ist so ne Mauer plötzlich die schönere Lösung zum Wall ... und wenn ihr wollt, dann bauen wir (RWE) natürlich die Mauer statt dem geplanten Wall. Nach derzeitigen Vermutungen ist längst die Mauer beantragt. Sie ist nämlich nicht schöner, aber wirtschaftlich (für RWE) besser.
Na wie auch immer, auch bei dieser Frage werden die WanloerInnen wohl auf Piraten verzichten müssen.

Jetzt könnte ich mit weiteren kommunalen Entscheidungen weiter machen. So zum Beispiel der Frage, ob die Stadt die Hälfte eines ihr zugefallenen Erbe für den Neubau einer Sammelunterkunft für AsylbewerberInnen ausgibt. DIE LINKE wollte aus den Erfahrungen anderer Städte lernen, Ghettoisierung verhindern und damit auch noch Geld sparen: Unterbringung auf dem freien Wohnungsmarkt!
Oder was ist mit den Öffnungszeiten der städtischen Schwimmbäder? Der Bibliothek? Was ist mit dem HDZ/ECE/Arkarden und den Bussen auf der Hindenburgstraße? Was ist mit dem VEP, dem LRP und der Umweltzone? Was ist mit der Grünpflege und den Brunnen? Wie stehen die Piraten zur Situation am Tellmann-Platz? ...?

Natürlich muss niemand zu allem eine Meinung haben. Und natürlich kann niemand alles Wissen. Aber Lokal zu NIX irgendwas zu sagen ... hmpf?!

Und: Die BürgerInnen können ja kommen und sich informieren ist da nicht die Antwort. Genauso wenig, wie: „Wenn sich die Frage stellt, finden wir schon eine Antwort.“

So funktionieren Bürgerinitiativen: Da ist ein Thema, die Leute machen sich schlau, überholen im Wissen die Lokalpolitik und überzeugen (hoffentlich)! Dafür bedarf es aber eben keiner Partei. Parteipolitik heißt schon permanent dran zu bleiben ... nach bestem Wissen und Gewissen ... nach den eigenen Möglichkeiten.

Bei allem Respekt für das Berliner Ergebnis, in Mönchengladbach kann ich wenig von dem piratigen erkennen. Aber schön, dass die Nierspiraten jetzt von einem Ping wach gerüttelt wurden. Und die Antworten waren ja auch gleich fundiert: „Jetzt gibt es bestimmt viele neue Interessierte.“

Interessiert wofür bitte? Auf der Gewinnerstrasse ein wenig mit zu fahren? Wenn dass das Ziel der Piraten ist, dann sage ich schon mal Bye Bye – dafür gab es bisher die FDP: Kann mit jedem, Hauptsache an der Regierung (== der Balken der FDP). Und die Piraten in Hamburg-Bergedorf können das Spiel wohl auch schon in Teilen – wäre jetzt aber wohl ein anderer Aufsatz ;-)

Nun denn, vermutlich tue ich den Piraten einfach unrecht – ist doch kommunalpolitik einfach anders als die Richtige Politik. Deswegen sind ja auch Stadträte etc eigentlich keine Parlamente. Stellen wir doch mal die Anti-AKW Frage. Da haben die Piraten ja eine klare Meinung zu und sind über Twitter mit den @AntiAKWPiraten gut vertreten. Hochachtung für diesen Account! Immer nahe dran, die richtigen Infos, schnell und Prägnant und immer eine klare Aussage. Wer in der Partei solche Positionen hat, kann ja auch mal Lokalpolitisch etwas schwächeln – gerade wenn die Partei noch so jung ist.

Nun frage ich mich nur, wo die Mönchengladbacher Piraten im letzten Jahr waren? Linke und Grüne haben zusammen Dinge auf die Beine gestellt, genauso Jusos und Grüne Jugend. Sogar die CDU war bei 25 Jahre Tschernobyl dabei in einem ganz großen Bündnis mit Umweltverbänden und Kirchlichen Organisationen. Mönchengladbach hat mit dem Strahlenzug eines der Bürgerlichen Bündnisse, die noch immer gegen Atomkraft kämpfen und sagen: Das geht schneller!

Piraten waren nie dabei – obwohl angeschrieben!
Eine Piratin kritisierte das selber mal über die Maillingliste, Reaktion: Keine!

Nun gut, sie vergaß das Wort der digitalen Höflichkeit: Ping!
Wie kann ein ICMP-Echo-Reply (Pong) erwartet werden, wenn sich Bürgerinnen so gegen die RFC Norm verhalten?

WTFX – die Welt findet noch immer im RL statt, ein RT ist nicht wirklich eine Gegenöffentlichkeit und Freiheit heißt noch immer, dass jeder täglich auf die Straße gehen kann und seine Meinung sagen darf ... nicht nur wenn gerade #FSA ist ;-)

Und ungefähr jetzt frage ich mich, ob die Überschrift noch zum geschriebenen passt.

Jap, ich belasse es bei der Überschrift: Marketing können die Piraten ... ;-)

Solidarische, freiheitliche Grüße
Torben

P.S.: Wollte eigentlich auch noch was zu #Servergate sagen ... aber steht ja indirekt im Text ... ein Server Offline darf NIE das Ende sein, sondern allenfalls der Anfang! Kommunikation ist so vielfältig und nicht auf Nullen und Einsen beschränkt!


[1] Kommt mir jetzt nicht mit der FDP ;-)

[2] Nur mal so aus eigener Erfahrung mit der Linkspartei.PDS zur Bundestagswahl 2009: „Ihr seit nicht als Fraktion im Bundestag, also berichten wir nicht“. Wenig später: „Ihr seid nicht als Fraktion im Landtag, also berichten wir nicht“. Sogar das schalten von bezahlten Anzeigen wurde abgelehnt! Und noch heute kommt es immer wieder vor, dass auf Kommunaler Ebene Abstimmungsergebnisse falsch dargestellt werden. Ehe DIE LINKE erwähnt wird, stellen lieber mal eben CDU und FWG drei Stimmen mehr ;-)

[3] Hier sei mal als Randnotiz drauf hingewiesen, dass DIE LINKE erst seit Juni 2007 existiert. Das wird gerne vergessen, wie jung die Partei DIE LINKE doch ist ... sie hat eben nur ältere Wurzeln als die Piraten ;-)

[4] Und das ist auch gut so ... SCNR ;-)

[5] Jap; @Prisac hat sich mehrfach zu verschiedenen kommunalen Themen geäußert, über Twitter. Er ist aber kein Pirat – und ihr wisst eh dass ich hier nicht von 140 Zeichen Kommentaren rede ;-)



 

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Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.

(Karl Marx in "Thesen über Feuerbach" (MEW, Bd. 3, S. 5ff, 1888); durch Engels überarbeitet und erstveröffentlicht)